Lesekreis der Regionalgruppe Heidelberg (“Hast du uns endlich gefunden”)
Am 29.09.2022 traf sich der Heidelberger Lesekreis zur Besprechung des Romans "Hast Du uns endlich gefunden" von Edgar Selge. Es handelt sich um den ersten Roman des bekannten Schauspielers, der im Jahr 2021 erschienen ist. In den bekannten Literatursendungen im Fernsehen wurde er gut besprochen. Es ist ein autobiographisches Werk. Gegenstand ist im Wesentlichen seine Familiensituation Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre, als er 10 bis 12 Jahre alt war und mit seinen Eltern und drei Brüdern im westfälischen Herford lebte. Die zentrale Figur ist der Vater: vor dem ersten Weltkrieg geboren, Jurist, Gefängnisdirektor, leidenschaftlicher Musikliebhaber, der regelmäßig selbst u.a. mit der Familie Hausmusik macht, auch in Gegenwart von Gefängnisinsassen, die dafür ins Haus der Familie kommen dürfen. Der Vater ist insofern nicht unsozial und durchaus bildungsbürgerlich kultiviert. In für seine Generation typischer Weise findet bei ihm im Kontrast dazu eine angemessene Aufarbeitung des Nationalsozialismus allerdings nicht statt. Besonders abgründig ist, dass er seinen Sohn schlägt. Die Mutter ist nicht willens bzw. nicht in der Lage, den problematischen Seiten des Vaters zu begegnen. Der Autor hat offenbar sein Leben lang mit diesen Widersprüchen des Vaters gekämpft. Er beschränkt sich im Roman bis auf wenige Zeitsprünge in spätere Lebensabschnitte auf die Schilderung seiner Situation und Wahrnehmung als Kind. Die eigene Aufarbeitung als Erwachsener ist allenfalls punktuell Thema, was in der Diskussionsrunde kritisiert wurde. Insgesamt fanden die Teilnehmer das Buch soziologisch-zeitgeschichtlich interessant und lesenswert.